Donnerstag, 27. Oktober 2016

Die Unterwelt im Stummfilm

Filmpodium, Zürich
www.filmpodium.ch

20:45

schnellertollermeier (Gitarre, Bass, Schlagzeug)

Der Gangster und die Grossstadt

Wenn noch die frühesten Gangsterfilme wie The Great Train Robbery (USA 1903) im Wilden Westen stattfanden, fokussierte sich das Geschehen schon bald auf die moderne, industrialisierte Grossstadt. Ein Ort also, dessen Anonymität die beste Voraussetzung für das Treiben verbrecherischer Banden bot. Diese Gangsterfilme waren ein Abbild der Zeit, zu der sie gedreht wurden, meist eng verwoben mit der Alkoholprohibition und der Weltwirtschaftskrise in den Vereinigten Staaten. Beliebte Schauplätze waren neben der offenen Strasse vor allem hinterhofartige Spelunken, in denen illegal Getränke abgefüllt und Pläne geschmiedet wurden, ähnlich den damaligen Speakeasies.

Ein zentraler Aspekt aller Gangsterfilme ist das jeweils beschriebene soziale Gefüge, von dem sich weitergehende Deutungen ableiten lassen. Die Bande, in die sich der Gangster einfügt, ist dabei oft Spiegel oder Modell der Gesellschaft. So können Gangsterbanden bestimmte ethnische Gruppen, Jugendcliquen oder Familien darstellen, doch auch Liebespaare und Einzelgänger treten als Verbrecher in Erscheinung. Die Filme werden zum Zeitbild, zu einer Reflexion über Gesetzlosigkeit, Nachtlokale, Spielhöllen, Orgien, Anarchie und die Prostitution dieser Zeit.

Fast immer gehen Gangsterfilme der Frage nach, warum ein Mensch zum Verbrecher wird. Neben wirtschaftlichem Abstieg zählen zu den wichtigsten Ansätzen etwa falsche Moral, Einflüsse in der Kindheitsentwicklung, ausländische Herkunft der Gangster oder einfach unglücklicher Zufall. Allen gemeinsam ist eine Abweichung von sozialer Norm, und somit fordert der Gangsterfilm indirekt eine Einhaltung dieser Norm, damit man selber nicht zum Verbrecher werde. Urtypisch ist die Aussage des klassischen Hollywood-Gangsterfilms: Verbrechen zahlt sich nicht aus.

Ein neues Genre ensteht

Einen ersten Meilenstein in der Geschichte des Gangsterfilms setzt der Pionier D. W. Griffith mit seinem Biograph Short The Musketeers of Pig Alley (USA 1912). Als erster Film der Geschichte nimmt er die Verbrecherbanden der Grossstädte ins Visier, die ein essenzieller Bestandteil aller folgenden Filme sind. Und er etabliert auch gleich formal und inhaltlich mehrere Grundelemente des Genres, von der naturalistischen New Yorker Milieustudie bis hin zur die Erzeugung einer dramatischen Spannung dienenden Parallelmontage.

Raoul Walshs Debutfilm Regeneration (USA 1915) wiederum ist der erste abendfüllende Gangsterfilm überhaupt. Der Einfluss seines Mentors D. W. Griffith, bei dem er noch ein Jahr zuvor als Assistent arbeitete, ist nicht zu übersehen. Anstoss erregte allerdings die überraschend sympathische Charakterisierung des Bandenchefs. Mit dem Werdegang des Helden, der von der falschen auch die richtige Seite wechselt und sich somit „regeneriert“, erzählt der Film eine romantische und authentische Geschichte von Gewalt und Erlösung, die nahezu alle Elemente der grossen New Yorker Verbrechergeschichten vorwegnimmt.

Vertont werden die beiden Stummfilme von Schnellertollermeier, einem aufstrebenden Trio aus Luzern und Zürich, dessen Musik wenig bis gar keine Kompromisse kennt. Mit nur scheinbar unbändiger Wucht sind sie mühelos in der Lage, allfällige Genregrenzen zwischen freier Improvisation, Jazz und Rock zu sprengen, und im nächsten Moment unmittelbar feinere, verspieltere, ja geradezu liebliche Töne anzustimmen.